Mathias Meifert

Psychologie in Corona-Zeiten

Als Gast Dr. Matthias Meifert von HRpepper

Psychologie in Corona-Zeiten

Kapitel Thema Zeitpunkt
Kpt. 1 Matthias Meifert und HR Pepper 00:13
Kpt. 2 Die Krise und der Umzug in die digitale Welt 01:08
Kpt. 3 „Always Day One“ – Über Stabilität und Veränderung 07:15
Kpt. 4 Rollen und Erwartungen 12:06
Kpt. 5 Prägung und Selbsterkenntnis 18:00
Kpt. 6 Überwindung von Sinnkrisen und falschen Routinen 22:41
Kpt. 7 Geschwindigkeit von Veränderungsprozessen 28:30
Kpt. 8 Heutige Erwartungen von Arbeitnehmern 31:30
Kpt. 9 Recruiting und Kultur in Corona-Zeiten 37:50
Kpt. 10 Grundlagen und Notwendigkeit für Change-Management 43:45
Kpt. 11 Verliert nicht Optimismus, Spaß und Lust 45:41
Kpt. 1

Matthias Meifert und HR Pepper

Stefan Hamann: Guten Morgen, Hallo und Servus bei ‘Dreimal Digital’! Heute mit Matthias Meifert von ‘HRpepper’: Hallo Matthias an dieser Stelle schon einmal!

Matthias Meifert : Hallo.

Stefan Hamann: Und natürlich mit dem grandiosen Marcus, – jetzt machen wir es mal umgekehrt – und dem verrückten Michael Atug. Matthias, ich freue mich riesig, dass du heute dabei bist. Magst du dich einmal vorstellen?

Matthias Meifert : Sehr gerne! Ja, Matthias Meifert ist mein Name. Ich komme aus dem schönen Berlin, habe im Jahr 2012 eine eigene Company gegründet, die nennt sich ‘HRpepper’. Wir sind angetreten, die Arbeitswelt nachhaltiger zu gestalten, mit sehr modernen Ansätzen. Und das Wichtige für uns ist: Wir probieren uns ganz gerne selbst aus, also alles, was wir draußen am Markt beraten, haben wir mindestens auch selbst schon einmal erprobt in unserem eigenen Hause. Ich bin 52 Jahre alt, habe zwei Kinder und lebe so am Rande von Berlin, ein bisschen am Wald.

Stefan Hamann: Ja, vielen Dank!

Marcus Diekmann: Sehr cool!

Stefan Hamann: Dann starte ich einmal direkt mit der ersten Frage, und zwar kann ich mir vorstellen, dass dieses Jahr für euch sehr erfolgreich war, dass sie ihr Beratungsleistungen verkaufen konnten, oder?

Kpt. 2

Die Krise und der Umzug in die digitale Welt

Matthias Meifert : Dieses Jahr war natürlich wie bei allen erst einmal spannend. Wir haben uns im März natürlich auch in den Lockdown begeben oder in die Reduzierung der Kontakte – wie immer man das bezeichnen will – da wir ohnehin gewohnt sind, remote zu arbeiten, war das relativ leicht möglich. Aber die Umstellung aller Formate vom Realen ins Digitale hat uns natürlich herausgefordert. Wir müssen sagen: Der April und Mai waren spannend, weil alle Kunden gesagt haben, „Wir müssen all das auch nachvollziehen. Wir müssen gucken, wie wir zukünftig arbeiten, wie Homeoffice organisiert wird”. Das heißt, wir hatten da gegen unsere Planung einen Rückgang, haben dann aber hintenraus, – als sich das alles wieder sortiert hatte, – einen unheimlichen Zulauf, sodass wir nicht das beste Jahr der Geschichte geschrieben haben, aber ein sehr vernünftiges Jahr, gemessen an den Rahmenbedingungen. Aber wir hätten auf April und Mai auch verzichten können, ehrlich gesagt.

Marcus Diekmann: So wie wahrscheinlich jeder in dieser Runde.

Michael Atug: Nein, wir nicht!

Stefan Hamann: Jetzt wollte ich gerade sagen „Das muss ich revidieren”, weil (unv.).

Michael Atug: Wir haben es gar nicht geschafft, die Pakete raus zu ballern. Wir haben wirklich von morgens bis abends nur noch Pakete raus geballert, echt. Da musste sogar der Chef mal wieder das Packband in die Hand nehmen.

Marcus Diekmann: Sehr gut!

Stefan Hamann: Sehr gut, vorbildlich.

Marcus Diekmann: Ja. Ich finde das sehr spannend, denn eines meiner Lieblingsthemen ist immer, in der Krise nach vorne zu gehen. Das ist eins, was mich schon mein ganzes Leben umgetrieben hat. Und ich denke immer eigentlich müssten dich ja alle anrufen, denn das, was ihr als Beratungsdienstleistung anbietet, ist jetzt ja quasi schlagartig zum Pflichtprogramm geworden. Und ich habe ein paar andere Freunde, die auch in der Erwartung aktiv sind, die auch wirklich drei, vier schwere Monate sogar hatten, weil selbst bestehende Beratungsaufträge plötzlich blockiert und erst einmal pausiert wurden. Ich meine, ich kenne so viele große Händler: Die hatten jetzt ja auch wirklich nichts zu tun, wochenlang, weil sie nichts machen konnten. Ich verstehe gar nicht, warum man dann nicht gesagt hat: „Liebe Leute, zumindest das Headquarter schicke ich mal zum großen Teil doch nicht in die Kurzarbeit, nehme die Kosten auf mich. Und jetzt gehe ich dran und nehme die Themen, die ich schon immer mal weiterentwickeln wollte, und die gehe ich mit Vollgas an, weil wir haben sonst sowieso nichts zu tun”. Das kann ich nicht nachvollziehen, muss ich ehrlich sagen. Hast du das auch so erlebt, trotz einer guten Auftragslage?

Matthias Meifert : Das ist ja ein Mantra, das ich genauso singen und erzählen würde, dass man sich in der Krise ja neu erfinden muss und darf. Ganz im Gegenteil: Das ist notwendig, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Ich kann das für uns sagen. Wir mussten das halt auch tun, denn wie ich es eben beschrieben habe, es ging ja nur noch in Online-Workshops und wir hatten von diesen Instrumenten zwar schon einmal gehört, aber noch nicht alle in place. Burrell und wie sie sonst alle heißen, haben wir einmal ausprobiert und für uns selbst genutzt. Ich habe dann sehr früh mit der Heike Bruch Kontakt aufgenommen von der Uni Sankt Gallen, die ja im Leadershipbereich relativ führend ist, und wir haben zusammen mittendrin in der Phase – ich glaube im März – die Studie begonnen und dann Anfang April schon abgeschlossen, und haben mal gefragt: Was tut sich eigentlich gerade in diesen „New Work Praktiken”, die für das Erfinden und das Sich-Neu-Erfinden ja auch nicht ganz irrelevant sind. Was wir festgestellt haben, war dass natürlich alle im Homeoffice herum saßen, aber dass dieser kulturelle Wandel, den auch dieses Freilassen von Innovationskräften häufig braucht, gar nicht eingesetzt hat. Das ist natürlich dieses Momentum von Vertrauen, dieses Momentum von „Ich habe einen anderen Blick auf Menschen” in dem Moment so schnell ja gar nicht nachwachsen kann, an der Stelle. Und das ist, glaube ich, ein Punkt, der in deiner Frage steckt, warum die Innovationskraft nicht bei allen direkt angesprungen ist? Na ja, weil natürlich grundtiefe Sozialisierungen, die jeder in sich trägt, – was macht Menschen in Organisationen aus, was macht sie erfolgreich, wie werden sie handeln? – werden sich über Nacht nicht verändern. Auf der anderen Seite ist dein Punkt schon sehr relevant. Haben Unternehmensführer, haben Menschen an der Spitze auch wirklich die Verantwortung in die Hand genommen und haben Impulse gesetzt im Sinne von „Wir müssen innovieren”? Und dazu habe ich natürlich bei Kunden sehr Unterschiedliches erlebt. Viele waren so beklommen, dass sie gesagt haben: „Wir müssen jetzt in die Kostensparprogramme gehen und ganz viel einstellen”. Ich habe aber auch das Gegenteil erlebt, die nämlich die gesagt haben: „Wir werden weiter aufbauen, wir werden diese Chance nutzen”. Wir beispielsweise haben weiter eingestellt, auch in dieser Krisenphase im April und im Mai und es hat uns gutgetan, dass wir diesen Weg gegangen sind. Aber das ist ein Faszinosum in der Tat, manche stecken den Kopf in den Sand und manche erfinden sich in Krisen neu.

Marcus Diekmann: Wenn ich mal zurückerinnere an meine eigene Historie, dann denke ich immer, dass ich vielleicht so mit 20, 21 oder 22 oder auch, als ich Stefan kennengelernt habe, vielleicht als zu wild galt. Vielleicht hätte man damals einfach „Zu sprunghaft” gesagt. Damals war es so, „Denkt zwei Jahre darüber nach. Und dann rollt ihr fünf Jahre aus, was ihr machen wollt. Und dann geht es nur um operative Umsetzungsexzellenz. Retail is Detail. Denke drei Jahre über Detail nach”. Ich konnte mich eigentlich schon damals nur als unführbar bezeichnen und nur selbstständig machen. Und ich glaube, heute ist das Skillset genau, wie du es beschreibst. Oder Typen wie Michael Atug oder auch Stefan, die sich wirklich immer weiterentwickeln, immer Gas geben. Ich meine, Stefan, guck mal auch mit ‘Shopware 6’ hast du nicht gesagt „Ich höre jetzt auf und mache nichts mehr”. Du gehst auch das Kulturthema an, obwohl ihr schon „New Digital Culture“ seid. Weißt du? Das ist ja wirklich verrückt. Andere hätten gesagt: „Dazu habe ich noch zehn Jahre Zeit, denn wir sind schon zehn Jahre weiter, weil wir schon junge Leute haben”.

Kpt. 3

„Always Day One“ – Über Stabilität und Veränderung

Marcus Diekmann: Das ist ja so ein bisschen ausgelutscht, aber dieses Thema von Amazon, „Always stay one” schwingt schon irgendwie überall mit, weil ich immer glaube: Man muss sich neu erfinden, man muss auch den Willen dazu haben und man darf vor allem nicht satt werden. Da ist eine gewisse Hungrigkeit, die einen einfach nach vorne treibt. Ein gewisser Antrieb ist dafür Grundvoraussetzung. In der heutigen Zeit wird alles permanent infrage gestellt. Es gibt ja kaum noch Sicherheit, das ist auch noch ein Thema, zu dem – Matthias – ich gleich noch eine Frage habe, weil ich glaube, dass es einfach ein riesiges Problem heutzutage ist, dass sich so vieles so schnell verändert, dass der Mensch eigentlich nur noch sehr wenige Konstanten im Leben hat. Das kann positive Aspekte haben wie jetzt im Geschäftlichen, dass man als Unternehmen eine unfassbare Dynamik entwickelt. Wenn ich überlege, dass es früher wahrscheinlich 30 Jahre gedauert hätte, so ein Unternehmen wie ‘Shopware’ in dieser Größe aufzubrauchen. Ich meine, uns gibt es jetzt auch schon 20 Jahre, das ist jetzt auch kein Fingerschnippen. Aber diese Dynamik bei ‘Shopware’ ist ja auch erst seit zehn Jahren da. Also, dass wir wirklich schnell wachsen und schnell skalieren und schnell nach vorne gehen. Ich glaube einfach, dass das ür viele Menschen einfach eine unfassbare Herausforderung ist, dort Schritt zu halten und das irgendwie zu antizipieren. Und sich permanent infrage zu stellen, um zu überlegen: „Was muss denn jetzt der nächste Schritt sein und was ist eigentlich mein Benchmark im Leben”? Und so weiter und so fort. Es macht Menschen ja auch nicht zwangsläufig glücklicher, sondern eher perspektivloser vielleicht und auch unfokussierter.

Michael Atug: „Umtriebigkeit”, dieses Wort hatten wir ja auch schon gerade irgendwann im ersten Podcast. Viele Leute haben darauf auch gar keine Lust. Also ich sage mal, man will sein Leben leben. Das darf man auch nicht vergessen. Nicht jeder ist ein Macher und nicht jeder will auch ein Macher sein! Nicht weil er es nicht kann, sondern weil er es einfach nicht möchte. Für ihn sind andere Sachen einfach wichtiger. Das muss man auch akzeptieren. Das spielt natürlich auch noch da hinein. In den Zeiten heute, in denen viele eben sagen „Ich will mehr Zeit für die Familie haben.”, muss man das eben auch anerkennen. Aber es spielt eben auch in diese ganze Konstellation mit rein. Wer will wie arbeiten? Und ja, Fünfjahrespläne gibt es nicht mehr, oder? Wie du es gerade gesagt hast, Stefan, es verändert sich alles so schnell. Wenn ich heute noch denken würde „Ja, ich mache das so, wie ich es vor fünf Jahren geplant habe”, dann wäre ich schon lange nicht mehr da! Du musst immer wieder gucken. Es verändert sich alles so rasant, so unfassbar schnell. Alles, einfach alles! Es ist auch egal, in welchen Bereich du gehst: Ob es Recht ist, ob es Marketing ist, – das ist heute so morgen so, aber du musst eben mitgehen und dann schaffst du es auch! Dann hast du alle Möglichkeiten.

Matthias Meifert : Aber wie du es sagst: Dass Menschen nach einer gewissen Stabilität und einer gewissen Ruhe suchen, – die ja in manchen in der Person ein Stück weit angelegt ist, – ist ja evident. Und ich finde diesen Perspektivwechsel so wichtig, wie du ihn gemacht hast: Nicht jeder ist der Macher, nicht jeder ist der Motor, der nach vorne geht, nicht jeder ist auch so besessen von seinem Business. Das muss man auch mal ganz bewusst sagen. Ich sehe das ja in meiner schönen Stadt Berlin, in der wir gerade mit dem Impfen starten. Heute wurden die ersten Impfzentren wieder geschlossen, weil keine Nachfrage vorhanden ist. Das zeigt, wie superorganisiert wurde. Und da siehst du, wie viel Energie Menschen hinter ihre Themen bringen, egal, welches Thema da an der Türe steht. Ich denke, das müssen wir halt auch in Rechnung stellen. Auf der anderen Seite: „Ja, wir leben in einer Zeit, in der die Dynamik extrem ist. Und Corona war natürlich auch ein Brennglas an Dynamik, dass man fairerweise sagen. Einerseits eure Welt des Onlinehandels, in die einfach auch wahnsinnig viel Zulauf war. Aber auch die Welt von diversen anderen Branchen wie den Gastronomen. Es gibt ja auch welche, die jetzt in diesen Tagen halbwegs überleben, indem sie ihr Geschäftsmodell umstellen, – andere wiederum nicht. Wir haben hier in Berlin hier ‘Blume 2000’, ich weiß nicht, ob die bundesweit aktiv sind? Das ist ein Blumenhändler.

Stefan Hamann: Ja.

Matthias Meifert : Da hat meine Frau versucht, die traditionellen Nachbarschaftsgrüße zu bekommen, diese kleinen Hyazinthen, die kennt ihr vielleicht: Du kannst einzeln im Online-Shop von Blume 2000 bestellen und dann 4,50 Euro pro Versendung zahlen. Das heißt, wir können jetzt 15 Mal eine einzelne Hyazinthe bestellen für 4,50 Euro Lieferkosten. Da hat sie extra angerufen: Können wir nicht mal einen Tender von 15 machen? Denn wir haben so viele Nachbarn bei uns in der Gegend. Nein, geht nicht. Also so viel zum Thema Adaptionsfähigkeit von Systemen und Organisationen. Aber ich glaube, wir müssen da wirklich auch aufpassen. Der Populismus in vielen europäischen Ländern hat vielleicht damit zu tun, dass wir möglicherweise auch zu wenig zuhören an diesem Punkt. Wir müssen ja keinen Kniefall davor machen. Wir sollten nur zur Kenntnis nehmen, dass nicht jeder die gleiche Geschwindigkeit erleben kann und möchte.

Kpt. 4

Rollen und Erwartungen

Stefan Hamann: Ich glaube, dass das für viele Menschen aber auch so ein innerer Zwiespalt ist, weil ich schon glaube: Viele sind motiviert und haben Bock, sind aber auf der anderen Seite vielleicht durch die Erwartungshaltung von anderen Menschen total gebunden. Die Work-Life-Balance ist ein riesen Thema. Also auch die Rolle des Mannes hat sich ja zurecht verändert, er ist heute deutlich stärker zu Hause involviert und so weiter und so fort, – was ja auch gut ist. Auf der anderen Seite werden aber am Ende ganz viele unterschiedliche Erwartungshaltungen auf unterschiedlichen Ebenen in so eine Familie oder auch bei jedem Einzelmenschen mit reingebracht. Und am Ende führt das, glaube ich, auch bei vielen zu so einem inneren Zwiespalt, dass man gar nicht weiß: Wo soll man jetzt in welchem Moment welchen Fokus auf welches Thema legen? Das ist etwas, was ich ehrlich gesagt auch bei mir selbst beobachte. Bei mir ist das auch ein Thema. Man hat einfach unterschiedliche Aspekte des Lebens. In meinem Fall: Ich habe Kinder, ich habe eine Ehefrau, ich habe ein Haus, ich habe einen Garten, ich habe eine Firma, die schnell skaliert, ich habe Freunde, Verwandte und so weiter und so fort, und man ist ja eigentlich permanent am Jonglieren; wie kann ich jetzt allem gerecht werden, ohne dass ich mich dabei selber zerreiße? Und ich glaube, das gleiche Thema, das haben ja im Prinzip alle Menschen und das ist irgendwie auch extremer geworden, finde ich.

Matthias Meifert : Ich glaube, das Schlimmste ist die Erwartungserwartung, was du glaubst, erfüllen zu müssen. Das ist in dem ganzen Spiel auch eine Dimension, die du auch noch mal dazu addieren musst. Und man glaubt dann, so sein zu müssen, weil man das so gelernt hat oder weil der eigene Papa so war, oder weil ein großer Unternehmensführer eben so agiert. Wie viel wird aus Ritualen heraus getan, bei denen man sich gar nicht mehr fragt: Warum ist das so? Und auf der anderen Seite haben wir alle, wie wir hier zusammen sind, mehrere Rollen im Leben zu erfüllen und die jeweiligen Erwartungen sind mitunter wirklich komplett gegensätzlich. Dann noch zum „Neuen Mann” und natürlich auch zur „Neuen Frau”: Wir hatten erfreulicherweise über die letzten Jahrzehnte Emanzipationsbewegungen in allen Ecken der Gesellschaft. Es fängt schon beim Lernen in der Schule an. Mein Sohn kriegt als Grundschüler ein Competency Set Rückmeldung, wie in jeder Firma, wo wir heute beraten. Das macht eine Schule in Berlin. Also das geht mittlerweile. Der Mann hat sich emanzipiert oder hat auch Verpflichtungen übernommen. Jetzt kann man darauf gucken, wie man will. Die Frauen haben sich emanzipiert. Mitarbeiter in Firmen haben sich emanzipiert. Man glaubt nicht nur, weil der Direktor etwas sagt, dass es richtig ist. Aber das verunsichert natürlich unheimlich, weil wir dafür die Handlungsroutinen noch nicht haben, weil wir erst einmal üben müssen. Und am Ende ist es natürlich so, dass wir diverse Rollen gleichzeitig spielen und die sind teils ein großes Konfliktthema. Und das ist auch eine Frage der Zeit: Wie viel Zeit kann ich investieren? Wie gehen wir im Homeoffice mit Entgrenzung um? Wir wissen ja, dass es zwar durch das Homeoffice erst leichter geworden ist, so zu arbeiten: Man geht vor die Tür, dann sitzen die Kinder vor der Tür. Aber die Gefahr der Entgrenzung ist natürlich auch größer geworden.

Stefan Hamann: Wenn man oft zwischen unterschiedlichen Rollen wechselt, braucht man im Grunde so eine Art „Umrüstzeit” sozusagen. Ich muss mich ja von der einen Sache, von der einen Tätigkeit, von der einen Perspektive auf eine andere konzentrieren und das natürlich in so einer klassischen Arbeitswelt mit „Ich setze mich nach der Arbeit ins Auto und habe eine halbe Stunde die Autofahrt kann mich gedanklich schon mal darauf vorbereiten: Was will ich jetzt mit meiner Familie noch machen” viel einfacher, als wenn ich die Tür aufmache und von einem Meeting direkt hineinfalle in den Familienalltag. Das ist schon, glaube ich, ein Thema, das vielen Menschen schwerfällt.

Marcus Diekmann: Ich muss ja lachen. Man muss wissen, ich hatte noch nie ein Problem damit, maximal wandlungsfähig und weiterentwicklungsfähig im Business zu sein. Weißt du, was ich meine? Aber auch diese Wandlungsfähigkeit hat ihre Grenzen, denn irgendwo brauche ich auch mal eine Konstante und damit ist die private Weiterentwicklung eher unterentwickelt. Da bin ich immer gleich geblieben, mehr oder weniger. Irgendwo brauche ich auch meinen Ausgleich, meinen Ruhepol. Dadurch fehlt es dann da an Weiterentwicklungsfähigkeit. Ein spannendes Thema. Ich finde übrigens interessant dabei, dass ich das kennengelernt habe. Ich bin ja auch bei vielen Unternehmen als Beirat mit dabei, was ich auch als sehr schön empfinde und dadurch mitlernen darf von anderen Unternehmen und von anderen Aufstellungen. Und was ich immer merke, ist, dass jegliche Veränderung von 90 Prozent der Menschen – ich hatte das mal hochgerechnet – als Kritik empfunden wird und nicht als Notwendigkeit für die Zukunft und sich viele Menschen sich schwer damit tun zu sagen: „Hey, bis dahin war ja alles richtig, denn das hat uns bis hierhin getragen und das hat uns so erfolgreich gemacht. Aber es wird uns leider morgen nicht mehr erfolgreich machen, darum ist es gar nicht schlimm, sich davon zu verabschieden und alles noch einmal ganz anders zu machen”. Da gilt wirklich dieser Spruch: „Veränderung ist keine Kritik an der Vergangenheit, sondern Notwendigkeit für die Zukunft”. Wenn wir das alle so verinnerlichen würden, dann würden wir uns viel schneller wandeln. Stattdessen muss man immer diskutieren, immer debattieren.

Kpt. 5

Prägung und Selbsterkenntnis

Stefan Hamann: Markus, das ist genau das, was Matthias eben auch meinte: Auf der einen Seite entsteht ja viel mehr Emanzipation und Diskussionskultur und es werden viel mehr Dinge infrage gestellt. Dazu kommt diese Dynamik, und alles, was sich verändert, verursacht Angst; dann erzählt der CEO schon wieder von irgendeiner strategischen Weichenstellung. Das ist ein Riesenthema. Alle sagen, agiler zu werden heißt, sich dynamisch anzupassen. Aber du musst es ja erst schaffen, alle Mitarbeiter oder alle Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen für so einen Wandel, und ich glaube, das ist heute einfach eine Aufgabe, die unfassbar schwierig und komplex geworden ist. Es geht häufig gar nicht mehr um die Sache, sondern einfach um die Taktgeschwindigkeit und darum, die Leute mitzunehmen. Viele Leute wollen auch mitgenommen werden und wollen aber auch auf der anderen Seite ein Mitspracherecht, und das verlangsamt dich wieder und macht dich wieder weniger agil. Ein komplexes Thema. Matthias?

Matthias Meifert : Absolut. Ich will noch einen Punkt machen, der passt zum Thema der privaten Welt: Man darf die Realität natürlich nicht aus dem Blick verlieren. Wir haben es ja nicht zu tun mit hüllenlosen Wesen, bei denen wir sagen können: „Heute machen wir A, morgen Sparprogramm B”. Sondern wir sind ja alle Menschen, die wirklich die Spuren ihrer Vergangenheit in sich tragen. Da ist überall die geronnene Erfahrung, die diese Menschen gemacht haben. Und ich hatte mit meiner Mutter einmal witzigerweise eine sehr tränenreiche Diskussion, – die sie sehr gerührt hat, – dass sie gar nicht weiß, wie viel von ihr in meiner Company steckt. Ich sage jetzt bewusst mal „Von meiner Company”, weil ich, glaube ich zumindest schon ein Gros der Kultur dort geprägt habe, dadurch, was ich zugelassen und nicht zugelassen habe. Ich will damit sagen: Das tragen wir alles mit uns herum. Ob uns das immer so bewusst ist oder nicht, das weiß ich nicht. Aber wir tragen alle ganz viel aus unserer Vergangenheit mit uns. Alleine schon, wie du auf Leistung guckst. Alleine, was wir eben schon als stillen Konsens ausgebreitet haben: „Wir haben so einen Leistungsethos, wir müssen uns anpassen.“ Wir könnten auch sagen: „Warum müssen wir uns anpassen? Warum müssen wir überhaupt arbeiten”? Diese Fragen sind ja in uns, wir haben es aber mit unserer Sozialisierung anders gelernt. Und wenn du jetzt hergehst und sagst „Die würde ich gerne verändern”, dann läufst du mit deiner Veränderung Gefahr, in Konflikt mit meinen Werten und Grundannahmen zu geraten und dann hast du natürlich größere Widerstände in Veränderungsprozessen. Wenn du sie komplett adressierst mit der Veränderung, ist es wahrscheinlich sogar leichter, weil die Leute alle sagen: „Ja, wunderbar, das ist ja genau das, was ich eigentlich wollte an dieser Stelle”. Das macht es halt so spannend, mit Menschen zu arbeiten, weil wir nicht so genau wissen, was die Menschen da so an tiefer Sozialisierung mit sich herumtragen.

Marcus Diekmann: Ja, das ist ein guter Punkt.

Matthias Meifert : Ich hatte einmal mit so einem Agil-Coach eine Diskussion und er sagte: „Welche Menschen braucht es denn eigentlich? Wer ist in Scrum glücklich”? Also wie viel Ego musst du nach hinten stellen? Wir alle haben ganz stark, glaube ich, auch so eine Ich-Identität, dass wir sagen „Wir haben Bock drauf! Wir wollen gesehen werden, wir wollen mit unseren Firmen erfolgreich sein”. Nicht jede agile Rolle gibt unserem Affen Zucker. Und da ist genau die Frage zu stellen: Wie kriegen wie die Passung hin, dass die richtigen Menschen in die richtigen Rollen gehen und möglichst wenig Rollenwiderspruch in Veränderungen erleben, an der Stelle.

Michael Atug: Ich höre ganz gespannt zu. Ich will gar keine Fragen stellen. Ich will euch nur zuhören. Ich bin gerade mein eigener Zuhörer im Podcast. Ja, ja, ja, Jungs! Ohne Scheiß! Das ist es! Genau so es! Ganz einfach erklärt. Das ist so einfach und teilweise auch so schwierig oder?

Marcus Diekmann: Sauschwer.

Matthias Meifert : Schwierig ist, – und da machen wir uns nichts vor, – das hören wir von Partnerinnen und Partnern auch häufig genug: diese Selbsterkenntnis zu haben. Was ist denn eigentlich in uns? Wie habt ihr die Welt sehen gelernt? Was Leistung ausmacht? Was gute Arbeit ausmacht? Was eine vernünftige Arbeitszeit ist? Was eine gute Vaterrolle ist? Das kommt immer so esoterisch daher und man sagt „Boah, das ist ja schon so ein bisschen wie beim Ringelpiez, da müssen wir die Kerzchen aufstellen”. Nein! Wenn wir dabei nicht klarer werden miteinander und auch privat nicht sortieren und sagen: „Ja stimmt, das ist das Bild, das habe ich da erworben, das habe ich scheinbar nicht losgelassen, das steckt in mir”, dann fehlt uns eine Hilfe in diesen Veränderungsprozessen; cooler zu sein als Manager, besser zu verstehen, mehr Gehör zu schenken, besser zuzuhören. Trotzdem muss man auch immer sagen: „Ja Kinder über diese Veränderung können wir auch noch mal diskutieren. Aber kommt, wir machen es jetzt mal”! Auch das braucht es.

Kpt. 6

Überwindung von Sinnkrisen und falschen Routinen

Marcus Diekmann: Was ich ja interessant zu dem Punkt finde – Matthias, das finde ich einen super Punkt: Ich hatte Ende 2019, Anfang 2020 eine kleine Sinnkrise, da habe ich mir auch fünf Wochen Urlaub genommen; vier Wochen voll und danach wieder so ein bisschen gearbeitet. Und zwar hatte ich eine Krise und dachte: „Ich bin wirklich glücklich und will mich auch gar nicht beschweren, bisher auf ein sehr erfolgreiches Leben zurück gucken zu dürfen. Toi toi. Es mit tollen Menschen verbringen zu dürfen, tollen Freunden, tollen Kindern und allem. Es ist auch beruflich bisher alles glattgegangen. Es gab ein paar Tiefen, aber ich kam immer wieder raus. Und am Ende lief alles ganz gut. Aber privat bin ich manchmal zwar ein super Spaß-Papa, auch ein super Spaß-Freund und wenn einer richtig Probleme hat, bin ich auch da. Aber Alltag kriege ich nicht mit”. Da hatte ich wirklich ein Thema und dachte, ich muss mal alles herunterfahren. Und da viel mir ein: „Ich habe mich auch saujung selbstständig gemacht und habe selbst im Studium schon diese ganze Party-Zeit nicht so richtig mitgemacht, da habe ich auch schon Business gemacht”. Stefan und ich können uns auch nicht beschweren. Wir haben schon viele Biere zusammen getrunken, auch in jungen Jahren. Aber das war auch alles Business, weißt du? Es war nie einfach unbefangen. Selbst wenn Stefan, Thomas und ich damals ein Bier getrunken haben, unterhielten wir uns den ganzen Tag über Business-Themen. Nie war es einfach ungezwungen. Dann habe ich mir also so einen buddhistischen Psychologen und Coach geholt und habe das einmal mit dem besprochen, bin dahin und habe gesagt: „Sag mir einfach drei Optionen und ich wähle eine. Ich bin diszipliniert, also sag mir dann genau, wie ich das machen soll”. Da sagte der: „So funktioniert das nicht. Setzt sich jetzt erst mal hier hin und hör mir zu”. Am Ende, nach einem halben Jahr kam dabei heraus: „Sei doch einfach der Spaß-Daddy sei der Spaß-Kumpel und gib einfach Vollgas. Denn wenn man dir das eine nimmt, scheint ein Großteil deines Lebens, der dich sehr glücklich macht, weg zu sein. Und rede einfach mit allen sehr offen darüber”. Von daher habe ich mich gerade wiedergefunden, als du das beschrieben hast. Danke dafür noch mal.

Matthias Meifert : Ja, gerne. Ja, das Schlimme ist halt, dass viele Menschen eher im normativen Leben sind, dass sie dann glauben, Stichwort „Erwartungserwartung”, sie müssen so sein, sie müssen so agieren. Und das ist natürlich dann eher so auf dem Weg zur Lebenslüge. Deswegen muss man einfach offen dazu stehen und sagen „Ich habe dieses Bedürfnis und jetzt müssen wir gucken, in welcher Umwelt dieses Bedürfnis funktioniert”.

Michael Atug: Das merkst du einfach im privaten Umfeld, wenn du dann sagst: „Nein, ich will diesen ganzen Wahnsinn nicht mehr mitmachen, da einen Geburtstag und da irgendwie eine Weihnachtsfeier und das und das”. Wo du einfach sagst „Ich will das eigentlich gar nicht”. Und das ist überhaupt nicht böse gemeint gegenüber den anderen oder gegenüber deiner eigenen Familie, sondern du selbst sagst einfach, das ist nicht dein Weg, du willst das nicht. Und das verstehen dann die anderen nicht und sehen das direkt als Kritik oder als irgendetwas Böses an. Und es wäre schon cool, wenn die Leute den anderen Leuten auch einmal so ein bisschen Luft zum Atmen lassen würden, einfach zu sagen: „Ja, lass ihn doch machen, wie er ist! Solange er ein guter Mensch ist und er irgendwie keinen umbringt und sich auch sonst sozial verhält, ist doch alles gut!” Das fehlt der Gesellschaft, glaube ich, so ein bisschen momentan.

Michael Atug: Was man nicht unterschätzen sollte, ist, glaube ich, dass Rituale ganz viel Identität ersetzen. Dieses Äußerliche: Also wir haben ein Weihnachten, was immer gleich aussieht. Der Weihnachtsbaum steht immer in der gleichen Ecke, die Eltern kommen, wir gehen in die Kirche oder nicht in die Kirche. Also alles, was man tut, ersetzt dann eigentlich mein Ich. Was du sagst, ist: „Eigentlich brauchen wir mehr Ich und mehr Toleranz dem Ich gegenüber”. Häufig ist das aber andersherum, dass die Rituale die Identität ersetzen, und dann ist es halt schwieriger, dann bist du sofort im Konflikt.

Marcus Diekmann: Ja, das ist ja in der Firma das gleiche Umfeld. Als wir zu ‘Beta Bett’ gegangen sind – Sarah Folken und ich – und sie für den Aufbau der E-Commerce-Abteilung zuständig war, wollte man eigentlich, dass diese E-Commerce-Abteilung sehr eigenständig agiert und Vollgas gibt. Wir wollten Kanal-Exzellenz leben, das heißt, die können auch andere Dinge stärker bewerben als das stationäre Geschäft, denn wenn der Online-Kunde anders tickt, soll er auch anders bedient werden. Aber sie wurden wie Fremdkörper behandelt, denn eigentlich wollte jeder, dass diese E-Commerce-Abteilung, die auch mit sehr viel Macht ausgestattet wurde, sich unterordnet, schön brav alles übernimmt. Die Regeln, die zum Beispiel bei der deutschen Tochter vorher schon waren: „Bitte seid einfach nur so”. Erst wurde gesagt: „Bitte verändert hier alles”. Aber eigentlich meinten sie: „Bringt frischen Wind rein, aber macht schnell das Fenster wieder zu, damit es nicht zu windig wird”. Das fand ich eine interessante Erfahrung. Und was ich damals zum Beispiel auch falsch gemacht hat, und das würde ich heute nicht mehr so machen: Weil ich aus der Holding herauskam und relativ frei war, habe ich es mit zu viel Gewalt durchgepeitscht. Wisst ihr, wie ich das meine? Und ich hätte mir heute viel mehr Zeit gelassen, die Leute mit auf diese Reise zu nehmen. Weil ich glaube, – das will ich auch selbstkritisch sagen, – das kannst du so machen, dann verankert es sich aber zu langsam. Ich meine damit nicht, dass man nicht trotzdem schnell die Entscheidung trifft, was verändert werden muss, aber wie es dann umgesetzt wird, sollte dann tatsächlich in einem langsameren Takt erfolgen.

Kpt. 7

Geschwindigkeit von Veränderungsprozessen

Matthias Meifert : Eigentlich handelt jeder Mensch plausibel vom Hintergrund seiner Interessen. Dieses Gefühl zu haben, zu sagen: „Wenn Menschen nicht mitgehen mit deiner Geschwindigkeit”, wie du es gerade beschreibst, „dann hat das einen Grund. Denn dann ist das, weil die noch nicht überzeugt sind oder weil andere Dinge eine Rolle spielen”. Und da muss man, finde ich persönlich, auch sehr an seiner eigenen Ungeduld arbeiten. Wenn man selber von Dingen überzeugt ist, heißt das noch lange nicht, dass die Umwelt mitgegangen ist. Aber Menschen sind, – das ist jetzt meine Lebenserfahrung – nicht per se boshaft, sondern sie sehen vor dem Hintergrund ihrer Interessen eine andere Alternative für sich und wollen die auch wählen, weil sie sagen: „Das ist ja einfacher”. Und wenn man ein bisschen mehr Demut davor hätte, – auch in Veränderungsprozessen, – dann würde einem vielleicht auch dieses Mitnehmen leichter fallen. Wobei: „Mitnehmen” klingt immer so, da sind passive Menschen, die man in den Bus einsteigen lässt. Veränderung heißt ja eigentlich, ein Mensch muss es aktiv für sich wählen: „Ich will das bei Shopware. Ich will das so, ich will diesen Weg so gehen”, und es ist eigentlich gute Führung, wenn das gelingt.

Stefan Hamann: Das hört sich natürlich auch immer einfach an, aber dieser Perspektivwechsel ist wichtig, und die Fähigkeit zu haben um sich in die Rolle eines anderen hineinzuversetzen ist, glaube ich, einfach ein superwichtiges Thema.

Stefan Hamann: Sag‘ doch mal, wie du auf die Welt blickst! Beschreib mir die Welt aus deinen Augen. Es gibt ja von unserer nationalen Ikone Helene Fischer so ein Lied: „Ich will die Welt mit deinen Augen sehen”, habe ich mir sagen lassen.

Marcus Diekmann: Du hörst so was natürlich nicht!

Stefan Hamann: Ja!

Matthias Meifert : Oder ich wurde mal gezwungen aus beruflichen Gründen zu einem Konzert zu gehen.

Stefan Hamann: Ja, natürlich! Das glauben wir dir. Absolut! Er zwinkert die ganze Zeit in den Raum, das könnt ihr jetzt nur nicht sehen. Gerade das Thema Perspektivwechsel: Was ich festgestellt habe, ist, dass viele Informationen und viel von dem, was man vielleicht rüberbringen will, schon wirklich in der Kommunikation verloren geht. Du hast vielleicht irgendetwas vorgestellt und fragst „Kannst du das mal ganz kurz mit eigenen Worten wiedergeben? Wie hast du das empfunden, was ist für dich da hängengeblieben, was ist die Kern-Message”? Da wundert man sich manchmal, wie wenig eigentlich von dem, was man erklären wollte beim Gegenüber auch tatsächlich angekommen ist. Auch das hat ja wieder unterschiedlichste Gründe. Die Lebenserfahrung, keine Ahnung was, aber das ist manchmal auch ein ganz wichtiges Instrument, das wirklich einmal zu rekapitulieren, um sicherzustellen, dass auch wirklich alle den gleichen Informationsstand haben und man sich nicht am Ende um irgendetwas dreht, bei dem man eigentlich davon ausgegangen ist, dass es schon lange klar ist. Das war jetzt aus meiner beruflichen Erfahrung.

Kpt. 8

Heutige Erwartungen von Arbeitnehmern

Michael Atug: Da schließt sich jetzt meins irgendwie so ein bisschen an. Wir reden ja dann jetzt auch irgendwie so ein bisschen über Arbeitnehmer, oder? Matthias, vielleicht mal an dich: Ich hatte das am Anfang in einem Podcast: Wie verändert sich eigentlich aktuell die Erwartungshaltung der Arbeitnehmer, also wie ticken die? Was ist denen eigentlich wichtig? Ich habe ja gesagt, viele wollen mehr Familie und so weiter. Aber das ist ja eigentlich überhaupt nicht mein Kernthema. Das ist ja eher dein Kernthema. Wie nimmst du das wahr? Wie ist das in euren Gesprächen? Wie tickt der normale Mensch – in Gänsefüßchen, „Normaler Mensch” – eigentlich aktuell?

Matthias Meifert : Ich glaube, die Schwierigkeit einer Antwort liegt darin, dass es diesen normalen Menschen halt nicht mehr gibt. Also dass es immer dieses plurale Wesen gibt, das sehr unterschiedliche Dinge auch in Arbeitskontexte bringt. Wir verfolgen ja regelmäßig die Studienlagen zu den Generationen und zu den Erwartungen von Arbeitnehmern. Jetzt aktuell auch zur Frage der Selbstständigen. Natürlich ist so eine Corona-Krise auch eine Renaissance von Sicherheitswerten. Wir haben gerade wieder einen großen Zulauf zu öffentlichen Arbeitgebern, zu stabilen Arbeitgebern; weil eben das, was wir eingangs diskutiert haben, Veränderungsdruck, Veränderungsgeschwindigkeit im Zweifel nicht so beliebt ist. Oder auch das Risiko, arbeitslos zu werden. Es ist leicht, als Unternehmer zu sagen, „Das ist doch so ganz easy”. Wir sollten da auch mal eine Lanze für Menschen brechen, die das für sich sehr stark spüren. Die vielleicht in ihrer eigenen Jugend einen Vater erlebt haben, der insolvent ging und so weiter. Das ist dieses Thema. Wie verändert es sich? Ich würde sagen, wir haben es heutzutage mit einer starken Mündigkeit zu tun. Nicht nur mit der Sehnsucht, sondern einfach auch mit der deutlichen Erwartung: „Ich darf mehr mitreden in Organisationen”. Das hat ja auch viel mit anderen Sozialisierungsinstanzen zu tun, sprich der Schule, dem Elternhaus. Meine Frau sagt manchmal ein bisschen flapsig zu meinen Kindern, wenn sie mal wieder ein bisschen übers Maß hinausgehen: „In Frankreich dürfen Kinder bei Tisch nicht sprechen”. Also bei Hofe; das ist, glaube ich, schon ein paar Tage her. Ja? Aber das ist genau ein Hinweis darauf: Wir haben es gerade mit der hohen Mündigkeit und Erwartung zu tun. Dass auch junge Leute glauben, in jeder Organisation zu jedem Thema sprachberechtigt und sprachfähig zu sein. Und auch das ist etwas, was heute nachzuzeichnen ist. Aber ich komme zum Anfang der Antwort zurück: „Hey, das ist hoch-plural”. Es gibt eben Menschen, die sind so und es gibt auch genügend, die sagen: „Ich nehme die Sachzwänge, ich will die Sachzwänge und halte meine Klappe und gehe in eine Organisation, in der ich nicht mitreden kann. Auch das gibt es.

Marcus Diekmann: Ich möchte nur eine Sache dazu loswerden, denn das Thema interessiert mich immer brennend, ich beschäftige mich auch sehr intensiv damit. Ich glaube ja, es gibt einen großen Unterschied zwischen den Firmenphasen. Ich meine, das ist jetzt kein Glaube. Firmen in der Krise, die sich dringend verändern müssen, weil die Märkte angegriffen sind, die sich weiterentwickeln müssen – ich sehe fast nur Unternehmen, die am Anfang erfolgreich sind oder im Veränderungsprozess mit einem starken Entscheider, der das Was sehr klar vorgeht und bei dem, wie es umgesetzt wird, maximalen Freiraum für die Leute schafft. Wenn man dann nachher im sukzessiven Bessermachen ist, dann kann man wieder viel Mitspracherecht einräumen. In vielen Unternehmen erlebe ich wirklich immer gerade, dass alle denken, sie dürften auch beim Strategischen was mitreden. Und mit welcher Selbstverständlichkeit sogar! Ich habe letztens noch in einem Unternehmen den Mitarbeitern erklärt: „Ihr seid weder die Gesellschafter, noch seid ihr der Geschäftsführer, noch seid ihr der Beirat. Das ist nett und wir nehmen alles zur Kenntnis und nehmen das auch ernst, aber die Entscheidung über das strategische Was, ob wir in dieses Land gehen oder auch nicht, treffen nur wir! Sorry, da sind wir auch nicht auf Augenhöhe”. Diese Augenhöhe wird auch immer so überdramatisiert. Ich meine, jeder ist mal nicht auf Augenhöhe. Wenn ich mit einem tollen Sportler zusammen Fahrrad fahre, der viel besser ist, sind wir auch nicht auf Augenhöhe. Da kann ich mir zehnmal einbilden, dass ich Chef von Rose bin; da sind wir trotzdem nicht auf Augenhöhe. Wenn ich bei Rose das strategische Was entscheide, sind wir auch nicht auf Augenhöhe, sondern das darf ich entscheiden. Und beim strategischen Wie braucht es maximale Freiheit. Ich sehe einen sehr gefährlichen Trend, dass jetzt Unternehmen versuchen, alles zu demokratisieren. Bei Unternehmen, die sich langsam weiterentwickeln, sehe ich das als das größte Problem an, dass man probiert, alles zu demokratisierten.

Matthias Meifert : Wobei, da will ich ein Stück weit widersprechen. In Sachen Governance bin ich einverstanden. Das ist so. Also da gibt es ein deutsches Gesellschaftsrecht und wir brauchen nicht darüber zu reden, wer welche Fragen zu stellen hat. Ich glaube, es hängt eng damit zusammen, welches Geschäftsmodell du hast und welche Menschen mit dir arbeiten. Wir zum Beispiel haben einen sehr partizipativen Strategieprozess bei HRpepper, weil wir nur Wissensarbeiter dort haben. Aber wir sehen auch dort Unterschiede zwischen reifen Beratern, die sehr gut und sehr klar den Diskurs führen können, Jüngeren, die interessiert mitdiskutieren, aber auch im Zweifel nicht den klaren Blick haben, und einem Office, die sagen: „Ja, gute Diskussion, aber dazu kann ich gar nicht so viel beitragen”. Auf der anderen Seite, ich lasse mich da sehr gerne sehr breit auch beraten. Und wir haben viele Entscheidungen demokratisiert. Ich als Gesellschafter und als Managing Partner habe aber natürlich immer auch ein Vetorecht in den Dingen. Für uns hat es sich ausgezahlt. Auf der anderen Seite nehme ich den Punkt auf, in Krisensituationen brauchst du halt im Zweifel auch noch mal ein ganz anderes Leadership und es ist ja kein Zufall, dass die heroischen Führungsmodelle alle aus krisengeneigten Industrien kommen. Also die Brücke vom Schiff, Feuerwehr, Militär; das sind ja alles Dinge, die aus gutem Grund so organisiert sind. Trotzdem kann so ein Schiff total selbstorganisiert vor sich hinarbeiten. Aber wenn es in den Sturm fährt, sollte klar sein, wie die Führung prinzipiell funktioniert.

Marcus Diekmann: Ich weiß gar nicht, ob ihr das sehen könnt? Seht ihr das hier?

Stefan Hamann: Ein Portfolio, aber mehr sehe ich nicht.

Kpt. 9

Recruiting und Kultur in Corona-Zeiten

Marcus Diekmann: Das ist unsere „Will and Skill Matrix” – natürlich nicht meine, die haben wir übernommen. Wir machen das thematisch nicht einmal nach Abteilungen, nach welchen Bereichen wir entscheiden. Hier sind zum Beispiel alle Topics von ‘Rose’. Man erkennt das, glaube ich, sehr schlecht gerade. Alle Topics von ‘Rose’ stehen da drauf.

Marcus Diekmann: Die Zuhörer können das gar nicht erkennen.

Stefan Hamann: Das ist einfach eine Vier-Felder-Matrix, die linke Achse ist die „Will“-Achse und die rechte Achse ist die „Skill“-Achse. Wir gehen das pro Thema durch. Hier ist zum Beispiel ein neues Thema, das nennt sich „Aufbau einer seriellen Fertigung”. Wir waren bisher Customizer by Bikes und jetzt werden wir ein serieller Fertiger. Der Will, serieller Fertiger zu werden, ist extrem hoch. Das wollen alle bei uns. Also nicht alle, das stimmt nicht, aber 90 Prozent, also der Will ist superhoch. Der Skill ist sehr gering. Nicht weil unsere Leute nicht gut sind, sondern weil wir einfach keine Erfahrung haben damit. Das hat überhaupt nichts mit Fähigkeiten, sondern immer nur mit Erfahrungen zu tun. Das heißt, ich komme zu der Erkenntnis: Wir brauchen nicht direktiv zu sein, aber wir müssen es eng begleiten. Und das ist dann auch der Führungsstil, den wir darauf anwenden. Dann haben wir noch ein anderes Thema, das ist das Ökosystem. Das heißt, dass wir zur Plattform werden und sich andere Hersteller bei uns anschließen können. Da ist der Will, wenn man das auf die ganze Firma betrachtet, nur mittelhoch, weil die meisten das lieber alles selber in der Hand haben, bei uns. Der Skill ist auch niedrig. Da musst du eher in Direktiven führen. Da müssen wir also viel mehr vorgeben, viel mehr durchsetzen, viel mehr sagen „Wir machen das”. Dennoch müssen wir überzeugen. Dann haben wir Themen wie zum Beispiel die IT. Wir sind ein einziges IT-Feld, weil wir ein Online-First Unternehmen sind. Da führen wir gerade ein neues ERP-System ein, da ist der Will unglaublich hoch und der Skill ist unglaublich hoch. Da brauche ich mich als Geschäftsführer gar nicht einzumischen. Das kann ich so delegieren und sagen: „Macht ihr mal alleine, ihr könnt das viel besser als ich”.

Stefan Hamann: Wie macht ihr denn die Einschätzung in Skill und wie hoch ist das Thema bei euch gerankt? Macht ihr das mit den Mitarbeitern zusammen, oder macht jeder das selbst?

Matthias Meifert : Wir machen das mit Leadership zusammen und haben da immer ein klares Bewertungssystem, das kann ich dir auch mal schicken, Stefan. Und zwar gehen wir danach, wie viel Erfahrung wie in einem Thema haben. Nächstes Jahr wollen wir zum Beispiel wieder über 30 Prozent wachsen und dann kratzen wir erst einmal an den 180 Millionen, und übernächstes Jahr gehen wir erstmals über 240 Millionen. Wir waren vor eineinhalb Jahren noch ein Unternehmen mit 85 Millionen. Das heißt, wir sind plötzlich eine ganz andere Unternehmensgröße: Das hat nichts mehr mit dem alten ‘Rose’ zu tun. Das heißt, plötzlich brauchen wir selbst im Einkauf neue ergänzende Mitarbeiter, die noch mal ein anderes Skillset mit reinbringen. Wir bewerten nicht unsere Mitarbeiter als schlecht, sondern sagen: „Die haben für 240 Millionen noch nie eingekauft”. (unv.)

Stefan Hamann: Ein interessanter Ansatz. Finde ich gut.

Matthias Meifert : Ein super Ansatz. Und ich muss sagen, wir haben ja bei uns Wahlprinzipien, wir nominieren Rolleninhaber quer durch die Organisation für alle Dinge, die wir so tun, jetzt ‘HRpepper’ intern. Und bei uns war auch immer die Gretchenfrage der „Skills for buy“, genauso wie du es gerade beschreibst. Das ist ein zentrales Thema, und wie gut gelingt es, diese Skills auch wirklich einzuschätzen, und das selbst einem demokratisierten Prozess, also im offenen Feedbackprozess? Ein guter Punkt.

Stefan Hamann: Ich habe noch mal eine Frage, Matthias, und zwar: Wir haben ja gerade schon ganz schön viel über veränderte Erwartungshaltungen und so gesprochen. Ich meine, das ganze Recruiting-Thema verändert sich ja auch. Viele Unternehmen sind jetzt ja im Recruiting einem noch viel stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Dadurch, dass viele Leute jetzt Remote-Only arbeiten können und das Arbeiten so gewohnt sind, können sie sich perspektivisch ja auch Arbeitgeber aussuchen, die gar nicht mehr aus der jeweiligen Region kommen. Das merken selbst wir bei ‘Shopware’, sowohl auf der positiven Seite, dass wir einfach jetzt sagen, wir suchen nicht mehr im Münsterland, sondern wir suchen europaweit, sage ich mal, die unterschiedlichsten Stellenprofile. Aber natürlich auch auf der negativen Seite, dass auf einmal – in Anführungszeichen – sich auch ein Arbeitnehmer bei uns sozusagen für einen anderen Arbeitgeber entscheidet, der gar nicht aus dem Münsterland kommt, sondern einfach ein viel besseres Angebot macht, weil er einfach wesentlich größer ist als ‘Shopware’. Was sind denn dazu deine Eindrücke und hast du dazu vielleicht auch Tipps? Was ist in diesen Zeiten vielleicht auch wichtig für Arbeitgeber, um dort den Anschluss nicht zu verlieren?

Kpt. 10

Grundlagen und Notwendigkeit für Change-Management

Matthias Meifert : Also ich glaube, am Ende des Tages steht die Frage der kulturellen Identität – manche sehen das als Kultur – aber das, was es ausmacht, bei einer Company zu sein, muss halt auch in Zeiten von sehr viel Remote Work hochgehalten werden. Und wenn uns das nicht gelingt, dann sind die Zentrifugalkräfte von Organisationen natürlich groß, oder es ist am Ende eben söldnerhaft: Du kannst dann von A nach B wechseln, gerade wenn alles von remote zu machen ist, bist du halt in dem Modus, wie es ihn auf den Ideen-Plattformen, Freelancer-Plattformen zuhauf gibt. Menschen, die an Offshore-Plätzen sitzen, zumindest haben sie da einen Rechner angemeldet, damit sie möglichst wenig Steuern zahlen, sitzen am Wasser, und machen ihr Geschäft. Das ist das Extrem. Deswegen: Das Invest in Kultur, das Invest in Identität, würde ich hochhalten, um zu binden. Wenn wir darüber reden, dass Menschen auch wirklich an Bord bleiben: Was macht das wirklich aus, ein Rose-Mensch zu sein, ein Shopware-Mensch zu sein? Was ist da wirklich drin für mich? Und machen uns nichts vor: Das ist mehr als eine transaktionale Beziehung. Das ist dieses immer wieder schön zitierte „organisationale Engagement“, diese emotionale Verbindung mit der Company. Und ich kann ja nur aus der Shopware-Perspektive argumentieren: Ihr tut ja wahnsinnig viel im Realen, wenn man da reinkommt, im Erleben. Und ich habe ja gehört, was ihr auch im Digitalen alles gemacht habt: Da tut dir ja auch viel und ihr versucht, diese Bindung herzustellen. Nichtsdestotrotz ist es so, dass sich die Bindungskräfte auch lösen können, zumindest werden die Möglichkeiten größer durch das Remote Work. Was wir beobachten, jetzt auch gerade bei Beratern, wenn die zu uns kommen: Es steht immer mehr Reputationsdiskussion im Raum. Sie prüfen, sie gucken dann noch mal. Also dieses „Post’n’Pray“ wie früher: Ich mache eine gute Anzeige, ich stehe für irgendetwas – die Leute kommen da nicht mehr, zumindest für Companies, die nicht Adidas und so weiter heißen, sondern Companies, die wirklich in der in der Detailperspektive auch anzuschauen sind, da müssen wir hingucken. Also Reputationsgestaltung ist das A und O: Wie wird über euch erzählt, wie wird über die Arbeitsbedingungen erzählt? Wie stark treffen die Arbeitsbedingungen die Erwartungen der Menschen? Das wird relevant. Das Active Sourcing, der Weg der Zukunft, ist klar, und dass man stattfinden muss in den Communities, die es gibt, ist auch wirklich ein „Low Hanging Fruit“. Aber das verschiebt sich und ich glaube, all diese Anpinsel-Kampagnen, wo man sagt, „Employer Branding“ und „Guckt mal, wie cool wir sind und was für einen Truck wir haben oder was für Messen”, das wird jetzt in diesen Tagen immer brüchiger. Also du guckst wirklich viel genauer dahinter: Du sprichst mit Menschen, du musst Mitarbeitende mit den Bewerbern zusammenbringen, und und und. Ich glaube, das wird das Thema sein.

Marcus Diekmann: Das ist ein spannender Punkt, Matthias. Ich habe letztens mit einem HR-Philosophen gesprochen, der hat sich nur auf HR-Philosophie spezialisiert und arbeitet da wissenschaftlich, also er hat auch gar keinen Beratungsauftrag. Der ist eigentlich Professor und hat das sich selbst auferlegt. Er ist im Raum Hamburg, und da gibt es relativ viele traditionelle, erfolgreiche mittelständische Unternehmen, die riesige EBIT-Summen haben, 10, 12 Prozent pro Jahr, teilweise 15 Prozent – also auf dem Papier wirklich erfolgreich – und die keine Mitarbeiter mehr finden, weil sie in der Digitalisierung nicht weit vorne sind und wo Mitarbeiter einfach sagen: „Bei dir fange ich nicht an. Bei dir kann ich keine Success Story bauen mit: „Ich bin gekommen, und mit den 20 oder 50 anderen haben wir hier einen Digital-Award nach dem anderen gewonnen”. Und er sagte, dass das wirklich interessant ist. Und da kannst du noch so oft sagen „Aber wir sind solides, zukunftsfähiges Unternehmen! Wir haben 15 Prozent EBIT”: „Gähn, das interessiert mich nicht. Ich muss hier gewinnen und ich muss auf meinem Papier ein Teil einer Erfolgsgeschichte gewesen sein”.

Matthias Meifert : Wir haben auch einiges zu tun in Hamburg. Und ich war immer wieder überrascht, wie formal gerade im Hamburger Raum diese von dir beschriebenen Firmen auch immer sind. Da wurde selbst bei Technologieführern die Krawatte im letzten Jahr erst abgelegt, wo ich mir denke: Das ist doch eigentlich auch eine Wissenscompany, Innovationscompany und so weiter. Es ist ja nur ein Artefakt. Es ist ja jetzt nicht wichtig, ob Krawatte, nicht Krawatte, aber es ist ein Hinweis darauf. Und was wir sehen ist, dass in diesen Organisationen auch sehr viele tradierte Management-Muster Raum haben, dass noch sehr klassisch geführt wird in klassischen Strukturen. Und das ist dann auch ein Teil der mangelnden Attraktivität. Das eine ist diese Success Story und mein Aufsichtsrat sagt mir immer: „Für dich ist wichtig als Kulturmarker: Wie oft wirst du gefragt, ob du nicht noch ein paar mehr Shares ausgeben kannst? Wie hungrig sind deine Leute um wirklich zu sagen: „Ich will auch Teil dieser Company sein”? Und das ist natürlich zugegebenermaßen bei den großen Traditionsfirmen eher schwer möglich, aber das ist sicher ein Teil der Antwort.

Stefan Hamann: Superspannend. Wir haben unsere angepeilte halbe Stunde schon lange überschritten, aber die Diskussion und die Punkte waren einfach superinteressant. Die werden auch wie viele Zuhörer sehr spannend sein. Ich glaube, wir haben noch Zeit für eine letzte Frage: Michael, Marcus, habt ihr da noch was auf den Lippen?

Michael Atug: Nein, ich muss mal nachdenken, das muss ich erst einmal alles verarbeiten hier!

Marcus Diekmann: Ich hätte noch eine Frage, Matthias: Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt und man noch gar nicht damit angefangen hat – für die Hörer – was muss vorbereitet werden, bevor man jetzt in den Prozess startet? Was muss die Firma vorher als Commitment gemacht haben, damit das mit dem Change und mit dem Beratungsunternehmen erfolgreich funktionieren kann?

Matthias Meifert : Na ja, ich würde erst einmal die Frage klären: Was ist denn überhaupt der Veränderungsbedarf dort? Den solltest du für dich geklärt haben, also klar zu sein, „Warum will ich eine Veränderung machen?“, auch im Sinne der Erwartungserwartung: Ist es jetzt gerade schick, weil alle agil werden wollen, dass ich auch agil werde, oder habe ich wirklich aus einer Stacey-Matrix einen Bedarf abgeleitet, weil mein Geschäftsmodell gerade so instabil ist, Dinge dort in diese Richtung zu tun? Also dieses Warum gut zu klären und ein bisschen über sich selbst nachzudenken, wie man in der Company so unterwegs ist, hilft auch ungemein, weil man darauf eben gut aufbauen kann. Denn machen wir uns nichts vor: In einigen Organisationen – ich sage nicht in allen, aber in einigen – ist natürlich das Top-Management im Zweifel auch ein großer Behinderer oder Beförderer von den Veränderungen, die da stattfinden. Das heißt, die Selbstreflexion fängt natürlich dort schon an.

Marcus Diekmann: Sehr cool!

Stefan Hamann: Sehr schön! Noch einen finalen Tipp, Matthias, den du allen Zuhörern mit auf den Weg geben möchtest?

Kpt. 11

Verliert nicht Optimismus, Spaß und Lust

Matthias Meifert : Ein finaler Tipp? Den Optimismus, den Spaß und das Lustvolle an dem ganzen Handeln nicht zu verlieren, und ich glaube, das ist bei allen größeren Sachen, die man im Leben je gemacht hat, so. Ob man lange Läufe vor sich hatte oder ein Fahrradrennen machen wollte oder auf einen Berg steigen oder eine Firma gründen. Also nicht nur auf die Top-Perspektive und das Gipfelkreuz zu gucken, sondern zu sagen: „Schritt für Schritt” und das lustvoll zu tun, dann funktioniert das. Das ist mein Tipp. Ich sage immer in meinem Leben: „Ich mache es spaßeshalber, mal gucken, was dabei herauskommt”. Und das ist meist sehr erfolgreich gewesen.

Marcus Diekmann: Ich möchte noch eine Sache sagen, wenn ich darf, Stefan? Eine noch?

Stefan Hamann: Natürlich.

Marcus Diekmann: Ich wollte nur eben nicht unterbrechen, aber ich sehe es genau wie du, Matthias: 99,9 Prozent der Mitarbeiter tut nichts böswillig. Entweder haben sie das Thema noch nicht gut genug verstanden und den Bedarf dahinter, oder sie haben keine Ressourcen. Mit diesen zwei Argumenten erklären wir uns immer alles, und von böser Absicht gehen wir nie aus.

Stefan Hamann: Sehr gute Schlussworte! Alles klar. Matthias: Vielen, vielen Dank für deine Zeit! Danke auch an Michael und Marcus. Und ja, liebe Zuhörer, bis bald!

Matthias Meifert : Tschüss.

Marcus Diekmann: Ciao!

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